Kann Mediation frei von Manipulation sein?
Als allparteiliches Verfahren spricht sich die Mediation jeglicher ergebnisorientierter Lenkung frei und gilt somit immer als ergebnisoffen. Der Mediator* betrachtet die Zusammenhänge frei von gewünschten Ergebnissen einzelner Parteien oder des Auftraggebers. Einzig zulässige Zieldefinition ist, Klärung zu schaffen und am Ende Lösungen zu erarbeiten, die für alle Parteien gleichermaßen tragfähig sind. Vor diesem Hintergrund ist es einem Mediator nicht erlaubt, die Klärung in Richtung der Wünsche einer der Parteien zu lenken. Aber wo kann Manipulation in der Mediation doch zum Fallstrick werden und was verstehen wir heute eigentlich unter Manipulation?
Manipulation – immer negativ konnotiert?
Das Verb (lat.) “manipulare” bedeutet “handhaben” und bezog sich ursprünglich auf die technische Handhabung von Maschinen. Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelte sich der Begriff über das “geschickte Lenken von Personen und Situationen” hin zur negativen Konnotation der “verdeckten und unethischen Einflussnahme”.
Betrachten wir diese Entwicklung müssen wir einsehen, dass die Lenkung von Personen und Situationen in jedem Fall auch im Setting der Mediation passiert, aber eben nicht verdeckt und unethisch. Mit Beauftragung eines Mediators ist Wunsch und Ziel der betroffenen Parteien, dass die eskalierten Konfliktsituationen wieder in einen besprechbaren und klärbaren Rahmen gelenkt werden. Vorab wird deutlich gemacht, dass die Gesprächsführung zugunsten beider Parteien gesteuert wird. Interventionen werden offen erläutert und finden nur mit Einwilligung statt. Ähnliches findet sich auch in Therapie-Settings, die Menschen darin unterstützen, mittels Gesprächsführung neue Perspektiven zu erlangen und zur Selbsterkundung angeleitet werden. Die Menschen im Prozess werden also bewusst gelenkt -manipuliert-, jedoch mit ihrem Einverständnis und vor der Grundhaltung der Hilfestellung.
Wo lauern Gefahren der Manipulation in der Mediation?
Das höchste Gut des Mediators ist seine Allparteilichkeit. Getreu dem Motto “Ich glaube alles, ich glaube nichts” bewahrt er sich eine Haltung und ein Menschenbild, das die Bedürfnisse eines jeden Einzelnen immer in den Vordergrund stellt. Die größte Gefahr für das Mediationsverfahren entsteht, wenn die Allparteilichkeit durch Manipulationsversuche bedroht wird. So kann es im Mediationsprozess vorkommen, dass einzelne Parteien versuchen, außerhalb der gemeinsamen Sitzungen Kontakt aufzunehmen und Darstellungs- und Erklärungsversuche zur Situation und zu anderen beteiligten Personen abzugeben. Auch die Zuschreibung von negativen oder gar psychologisierten Charaktereigenschaften können sich manipulativ auf den Mediator auswirken. Ein anderer Versuch der Manipulation kann über “Verbrüderung” stattfinden: eine Partei sucht nach Gemeinsamkeiten mit dem Mediator und versucht diese zu nutzen, um für die eigene Situation mehr Zuspruch zu erhalten und sie darüber zu stärken.
Was tun, wenn Manipulationsversuche im Mediationsprozess auftauchen?
Zunächst einmal darf man sich an dieser Stelle ebenso, wie im oberen Abschnitt, bewusst machen, auf welcher Ebene der Manipulation wir uns befinden. Handelt es sich um einen verdeckte, unethischen Manipulationsversuch, indem vielleicht sogar heimlich Geld angeboten wird, um den Prozess zugunsten einer Partei zu lenken? Oder handelt es sich um einen Versuch, Personen und Situationen geschickt zu lenken und welche Absicht steckt dahinter?
Sofern es sich nicht um einen unethischen Manipulationsversuch handelt, geht der Mediator durch seine Haltung erst einmal davon aus, dass die manipulierende Partei in großer Not ist und seine Bedürfnisse nicht anders zu schützen weiß. Nicht als Manipulationsversuch benannt, wird die Handlung und die dahinter liegende Hilflosigkeit und Verzweiflung im Verfahren transparent gemacht und den anderen Parteien zur Verfügung gestellt. Nicht selten bezieht sich die Hilflosigkeit nicht nur auf die eigene Person, sondern ist auch ein Zeichen der Sorge um die andere Partei, die man aber nicht zu artikulieren weiß.
Fragen, die sich der Mediator bei erkennen eines Manipulationsversuch stellen sollte:
- Wie bewahre ich meine Allparteilichkeit?
- Wem sollte die versuchte Einflussnahme dienen?
- Welche Sorgen, Nöte und Ängste liegen hinter diesem Versuch?
- Welche Bedürfnisse müssen transparent gemacht werden?
- Wie kann dieser Manipulationsversuch zugunsten aller Parteien im Mediationsverfahren bearbeitet werden?
Mit manipulativen Handlungen im Mediationsverfahren kann wie folgt umgegangen werden:
- Unethische Manipulationsversuche einer Partei führen in der Regel dazu, dass das Verfahren abgebrochen werden muss. Die Grundvoraussetzung, dass alle Beteiligten ein Interesse an einer gemeinsam tragfähigen Lösung haben, ist nicht mehr gewahrt. Darüber hinaus handelt es sich hier um einen massiven Vertrauensbruch.
- Handlungen, die als Zeichen der Hilflosigkeit identifiziert werden können, werden im Mediationsverfahren offen gelegt und allen Parteien zur Verfügung gestellt und bearbeitet.
Fazit: Manipulation im Mediationsprozess geht nicht zwangsläufig mit bösen Absichten einher
Es ist entscheidend, Manipulation und seine Ausprägung differenziert zu betrachten, um sich bewusst zu machen, welche Intentionen damit verknüpft sein können. Nicht immer passieren manipulative Handlungen aus bösen Absichten heraus. Häufig liegen dahinter sogar große persönliche Nöte und Hilflosigkeit. Als empathischer Mediator gilt es diese Nöte zu erkennen und im Prozess transparent zu machen. Daraus ergibt sich sogar die Chance, die Klärung voranzutreiben. Wichtig ist vor allem, stets die Allparteilichkeit zu bewahren.
*Gender-Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.